Am 2.11.2024 fand der 4. Stiftungstag der Hans-Joachim-Maaz-Stiftung Beziehungskultur in Leipzig im Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus statt. In einer Zeit, in der viele äußere Sicherheiten verloren gehen (Frieden, Arbeit, materielle Versorgung) und wir mit Wucht erlebt haben, wie staatliche Maßnahmen das private Leben außer Kraft setzen, werden zwischenmenschliche Beziehungen umso wichtiger. Aber auch in diesem Lebensbereich gibt es viele Verletzlichkeiten, zwischen Partnern, zwischen Freunden, zwischen Arbeitskollegen, zwischen den Generationen und insbesondere bei Kindern, Jugendlichen und alten Menschen. Damit nicht das Trennende über dem menschlich Verbindendem steht, braucht es Verständigung und für die Verständigung ein Handwerkszeug.
Hans-Joachim Maaz hat im Rahmen der von ihm entwickelten Beziehungskultur (u.a. „Ich bin das Problem!“) und im Anschluss an Michael Lukas Möller (Literatur: Die Wahrheit beginnt zu zweit) die Theorie und Praxis der Zwiegespräche entwickelt und es war uns als Stiftungsvorstand und -beirat sowie als Fördervereinsvorstand ein besonderes Anliegen, dieses einer Öffentlichkeit im „Stiftungstag“ zugänglich zu machen. Unser Ziel war auch, den Vortrag von Hans-Joachim Maaz aufzunehmen, um ihn hier auf den Stiftungsseiten zu präsentieren und einer noch größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und unser Ziel war, im großen Stil selbst aktiv zu werden und Zwiegespräche zu ‚üben‘.
Wie ist es nun gelaufen?
Hans-Joachim Maaz hat einen Vortrag gehalten, der grundsätzlich unsere gesellschaftlichen Veränderungen im Blick hatte (bitte im Film schauen!) und die Möglichkeiten, in ihnen Gestaltung und Selbstwirksamkeit zu erleben.
Der entscheidende Punkt in Zwiegesprächen ist dabei der dialogische Monolog in begrenztem Zeitumfang und die Aufforderung, dass jeder von sich spricht. Leicht gesagt und schwer getan. Um das Tun ging es in den vier Workshops. In der Vorbereitung auf diesen Tag haben sich vier thematische Gruppen gebildet: Zwiegespräche zwischen Lebenspartnern, zwischen Freunden oder Kollegen, zwischen den Generationen und zu gesellschaftlichen Themen wie Corona, Krieg und Migration. Wir Gruppenleiter waren alle gleichermaßen fasziniert, wie sich in den zahlenmäßig großen Workshops (ca. 20 bis 30 Teilnehmer) eine ehrliche und berührende Atmosphäre herstellte. Diese Atmosphäre entwickelte sich durch den Vortrag, denn schon da war eine deutliche Betroffenheit spürbar und jeder Teilnehmer wusste, worum es geht: um die ehrliche Mitteilung von sich.
Hier ein paar Ergebnisse, die die Workshopleiter zusammengetragen haben:
In der Gruppe zum Thema Partnerschaft gab es Zwiegespräche zu verschiedenen, sehr allgemein gültigen und wiederkehrenden Konstellationen in Zweierbeziehungen. Ein Mann sprach von seinem Erleben, sich in der Ehe immer wieder „als kleiner Junge“ zu erleben, der es „Mutti“ recht machen will und dennoch auf der Strecke bleibt, sprich mit seinem Bemühen keine Anerkennung findet. Die Frau reagiert wie auf einem „anderen Planeten“ mit eigenen Ängsten und meint, ihrem Anspruch an Partnerschaft nicht gerecht zu werden. Die Gruppe hat wohlwollend und dankbar reagiert, dass es ihnen „genauso geht“. Da kindliche Bindungs- und Beziehungswünsche nicht ausreichend erfüllt wurden, kann auch keine Partnerschaft ausreichend ‚plombieren‘. Jedoch kann die gemeinsame Erkenntnis und Solidarität beziehungsstiftend sein. Ein anderes Paar hat sich zum Thema „Weihnachten“ ins Gespräch begeben und welche Rolle bei jedem Einzelnen die Herkunftsfamilie spielt, wer wen besuchen muß und will usw. Ein Thema, das immer die Gemüter erhitzt und es war nahezu befreiend als im daran anschließenden Gruppengespräch ein Vertreter der älteren Elterngeneration äußerte: „Ihr müsst doch nicht zu Euren Eltern fahren, die freuen sich vielleicht, wenn Ihr nicht kommt!“ Ein Hinweis auf Potentiale der Zwiegespräche auch zwischen den Generationen. Auch dazu gab es einen Workshop. Hier ging es vor allem um die Beziehungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern und zwischen Geschwistern. Die Themen waren: Beziehung zwischen Vätern und ihren Töchtern, Müttern und ihren Töchtern und zwischen Geschwistern. Bei den Zwiegesprächen über Eltern und ihre erwachsenen Kinder wurde deutlich, dass auf der Seite der Eltern besonders Schuldgefühle, Kränkungen und tiefes Bedauern über mangelnde frühe Elternschaft eine wesentliche Rolle in der Beziehung zu ihren Kindern spielen und der Wunsch, etwas nachzuholen, was leider nicht mehr nachzuholen ist. Auf der Seite der Kinder wurde deutlich, dass sie in Gefahr sind, ihre unerfüllten kindliche Bedürfnisse an die älter werdenden Eltern zu richten und nur schwer loslassen zu können von der Hoffnung, dass sich die Eltern doch noch ändern und ihnen vorzuwerfen, dass sie schuld sind an den Schwierigkeiten ihres Erwachsenenlebens. In dem Zwiegespräch über die Beziehung zwischen Geschwistern wurde das Thema bewegt, dass über chronische Konflikte zwischen erwachsenen Geschwistern enttäuschte oder aggressive Impulse, die infolge früher mangelnder oder repressiver elterlicher Beziehungsangebote entstehen, untereinander ausgetragen werden über Macht, Konkurrenz, Neid oder Kränkungen, als Folge, dass nicht gewagt wird, gemeinsam die frühen Eltern infrage zu stellen. Auch hier fanden sich trotz großer Teilnehmerzahl mutige Menschen, die die Zwiegespräche mit erstaunlicher Offenheit gewagt haben und die Gruppe hat mit wohlwollender Resonanz reagiert.
Ein weiterer Zwiegesprächs-Workshop war der zwischen Freunden oder Kollegen. Auch hier gab es sofort eine angeregte Arbeitsatmosphäre und es zeigte sich, wie brisant der soziale Sprengstoff werden kann, wenn man sich scheinbar nicht ganz so nahekommen muss, wie es in Familien und Partnerschaften zwangsläufig stattfindet. Gespräche und Diskussionen bleiben oft an der Oberfläche und external. Die Protagonisten in diesem Workshop haben von ihrem lebensgeschichtlichen Hintergrund berichtet und erst dadurch wurde es echt, ehrlich und authentisch. Offenbar herrscht in den Beziehungen zwischen Freunden oder Kollegen eine große Angst, „ausgestoßen zu werden“, Angst vor Zurückweisung, Verletzung und Enttäuschung. Dann ‚lieber‘ schön an der Oberfläche bleiben – die Angst vor Trennung ist zu groß! In Freundschaften und Arbeitsteams ist das Bedürfnis nach Zugehörigkeit besonders ausgeprägt, eine Zugehörigkeit, die es mglw. In der Herkunftsfamilie so nicht gab.
Auch in diesem Workshop gab es ein „Generationenthema“ zum „Wert der Arbeit“. Die Vertreter der älteren Generation, die Arbeit häufig als Pflichterfüllung und Lebensinhalt ansieht und die Jüngeren, die an einer work-life-balance interessiert sind. Auch hier war bei den beiden Gesprächspartnern der lebensgeschichtliche Zusammenhang erhellend: der eine von klein auf bemüht, die Erwartungen der Eltern (des Arbeitgebers) zu erfüllen, der andere weiß gar nicht, was sein Maß ist (was seine Eltern wollten).
Der Workshop zu den gesellschaftlichen Themen war sehr emotional und alle Anwesenden waren von der Atmosphäre des sich-Einlassens berührt. Es ging um die Spaltungsthemen unserer Zeit (Krieg und Frieden, Corona, Migration) und allzu oft wird darüber nicht mehr gesprochen, auch in Partnerschaften und Freundschaften wird lieber geschwiegen als Position bezogen. Umso bedeutsamer, wenn doch geredet werden kann und das gesprochene Wort stehen gelassen wird und gelten kann. Auch ohne Zustimmung, Verständnis und Nachfragen. Bestenfalls wird einem selbst klarer, wie und warum man so fühlt, denkt und handelt. Und bestenfalls gibt es AHA-effekte: aha, so ist das bei mir, weil ich so geprägt bin, aha, so ist es bei Dir, weil Du so geprägt bist. Mehr geht nicht!
Nach den Workshops und dem Kaffeetrinken gab es noch ein Abschlussplenum unter Leitung von Hans-Joachim Maaz. Viele der Teilnehmer nutzten die Gelegenheit für Statements, Integration aus den erlebten Zwiegesprächen, Mitteilung aufgekommener Widersprüche, aber auch Danksagungen und sehr viel positiver Resonanz.
Angeregt und angefüllt und mit vielen artikulierten Fortsetzungswünschen ging der Stiftungstag gegen 18 Uhr zu Ende.
Der Vortrag von Dr. Hans-Joachim Maaz wird in Kürze hier veröffentlicht.